
ÜBERS WASSER GEHEN
Ankern: Kleine Sünden rächt Neptun sofort
In den Lehrbüchern klingt Ankern immer ganz leicht: Tidenhub checken, falls gegeben, und veränderliche Wasserstände bedenken, vor Ort dann Segel runter, mit Motor gegen den Wind an die gewünschte Stelle tuckern, auskuppeln, Haken rein sobald das Schiff steht, idealerweise auf fünf bis sieben Metern Wassertiefe. Dann gaaaaanz langsam rückwärts fahren und Kette legen, mindestens dreifache Wassertiefe. Kurz mal ein klein wenig Gas geben, damit der Haken auch sicher fasst und in der folgenden Stunde immer wieder mal gucken, ob das Boot auch ja nicht abtreibt. Dann Bier trinken. Einfach! Kann jeder.
Soweit die Theorie. Die Praxis ist in der Regel sehr viel unterhaltsamer. Es gibt in jeder Bucht, egal wo auf der Welt grundsätzlich einen Motorbootfahrer, der Nautik für was Essbares hält und seinen Anker einfach irgendwo rein schmeißt, wo er glaubt, dass Platz ist. Wenn der Wind sein Boot dann auszurichten beginnt, treibt er garantiert gegen die nächstliegende Segelyacht. Da kommen dann Bootshaken, Fender und Schimpfwort-Sprachschatz in diversen Fremdsprachen zum Einsatz.
Abends in der Kneipe bei der zweiten Flasche Wein wird so richtig gelästert, was die anderen Skipper doch für Deppen sind und wie ungeheuer seemännisch es doch auf dem eigenen Kahn zugeht. Doch kleine Sünden rächt Neptun sofort. Beispielsweise in der Türkei, wo alle über den Bug ankern und dann das Heck an einem Baum an Land festzurren. In der Früh liegen dann mindestens drei der Haken übereinander und zwei der dazu gehörigen Schiffe wollen im Morgengrauen weg. Also setzt sich Skipper Big Henry verkatert in das Dinghi und paddelt über die Stelle, wo der Wuhling liegt. Von den beiden anderen beteiligten Crews kommt auch je ein Kerl. Die drei sitzen dann wie die Enten in ihren Beibooten in der Bucht und schnattern über die Schuldfrage. Bisweilen so laut, dass auch die anderen Crews wach werden. Auch gut, kriegen wenigstens alle eine Lehrstunde in Ankertechnik für Fortgeschrittene.
Die Cockpits füllen sich, alles trinkt den ersten Kaffee und guckt interessiert, wie die Männer an den Ketten rupfen. Big Henry hat unseren Anker klariert und dabei einige Meter der schweren Kette in den Bug den winzigen Beiboots gezerrt. Dann lehnt er sich vorne raus, um die Lage zu peilen. Big Henry heißt so, weil er 100 Kilo wiegt, dafür ist das Dinghi aber bloß ein Schlauchboot. Das gibt jetzt auf und kippt dank des buglastigen Gewichts vorne über. Der Purzelbaum von Mensch und Material hat den Vorteil, das Big Henry jetzt schon mal gewaschen ist und den Nachteil, dass das Entwirr-Theater mit den Ketten von vorne los geht.
Derartige Späße erlebt aber nur, wer überhaupt noch einen Anker hat, der sich über den anderer Leuten werfen lässt. Ich persönlich hab auch schon mal die Bremse gelöst und Meter um Meter aus rauschen lassen. Es ratterte vertrauenerweckend und ich starrte wie hypnotisiert auf die Bugrolle. Eigentlich hatten wir die Kette ja kontrollieren wollen, aber irgendwas war vor dem Ablegen dazwischen gekommen. Leider war sie nicht im Kasten befestigt, das Kettenende tanzte über die Rolle und verschwand mit einem Platsch in der Tiefe. Auch das ist lehrreich, muss sich die Seefrau doch anschließend mit der Frage beschäftigen, was Anker auf türkisch heißt und wo man einen neuen her kriegt.
Kuriert von derartigen Erfahrungen wurde die nächste Yacht mit elektrischer Ankerwinsch gechartert. Einfach eine großartige Erfindung, Ankern auf Knopfdruck. Leider war die Fernbedienung dazu an einem Kabel befestigt, das durch die Bugluke gereicht und dann an Deck bedient werden musste. Irgendwer ließ besagte Fernbedienung an Deck liegen, auf dem Bug sonnenbadende Nixen klappten die Luke zu und machten es sich darauf so richtig gemütlich. Anderntags war klar: Strom fließt nicht durch ein durchgebrochenes Kabel. Die beiden Herren an Bord waren leider lendenlahm, Big Henry wegen einer Verletzung der Hand, Crewmitglied Michael wegen Kreuzweh. Also mussten besagte Badenixen ran an die Kette und den Rest des Urlaubs den Anker rein- und rauswuchten. Soll ja gut für den Brustmuskel sein. Das Boot dazu hieß übrigens „Hanimeli“ – was auf türkisch so viel bedeutet wie „Hand der Frauen“. Der Eigner war ganz offenbar erstens ein Frauenversteher und zweitens mit Neptun auf gutem Fuß.

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